Eine Oper bringt ein literarisches Stück für ein Publikum zum Schwingen. Den Weg zur perfekten Inszenierung ermöglichen neben den Sängerinnen und Sängern eine große Zahl unterschiedliche Akteure. Ein näherer Blick auf die beteiligten Rollen ist für eine (transformative) Wissenschaft interessant, die den Anspruch hat, wissenschaftliches Wissen zum Schwingen zu bringen. Denn während Wissenschaft in der Regel nur zwischen wissenschaftlichen und "nicht-wissenschaftichen" (administrativen) Aufgaben unterscheidet, verfügt der (Musik)theater-Betrieb über eine Reihe von Mittler-Rollen, die seine Inszenierungsqualität erst ermöglichen.
Einige davon seien im Folgenden mit Blick auf eine transformative Wissenschaft beleuchtet:
- Die Librettistin/der Librettist: Das Libretto ist der Text der Oper. Er wird vom Librettisten geschaffen. Grundlage ist dabei häufig eine sehr viel umfassender Erzählung. Das Libretto bereitet diesen Ausgangstext orientiert an Publikumsgeschmack und zeitgenössischen Rahmenbedingungen für die Oper auf. Der Librettist leistet damit eine zentrale Übersetzungsarbeit, ohne die keine Oper möglich ist. Wissenschaft fehlen für ihre Erkenntnisse oft die Librettisten. Gelegentlich springt ein guter Wissenschaftsjournalismus ein. Viele wissenschaftliche Erkenntnisse bleiben in Formen, in denen sie nur von anderen Spezialisten verstanden werden.
- Die Intendantin/der Intendant: Der Intendant ist der (künstlerische) Leiter einer Oper. Er legt das Spielzeitprogramm und Ausrichtung der Institution fest. Formen der "Intendanz" finden sich durchaus auch im wissenschaftlichen Bereich, gerade bei grundlagen-orientierten außeruniversitären Forschungsreinrichtungen wie den Max-Planck-Instituten. Die Leitungen von Universitäten lassen sich – aufgrund der hohen Autonomie der einzelnen Hochschullehrerinnen und –lehrer – ähnlich wie stark Drittmittel-abhängige Forschungseinrichtungen nur sehr indirekt mit der Idee der "Intendanz" fassen. Noch heraufordernder ist die Figur der Intendanz bezogen auf eine transformative Forschung, die in Co-Design- und der Co-Produktion mit nicht-wissenschaftlichen Partnern passiert.
- Die Dramaturgin/der Dramaturg. Hier kommt der Rolle des Dramaturgen eine zentrale Bedeutung zu. Der Dramaturg vermittelt zwischen dem eigentlichen Kunstprozess, dem administrativen Betrieb und der Öffentlichkeit. Dramaturgen begleiten die Inszenierung, stellen die Brücken zum Bühnenbau, der Maske und Technik her und verfassen z.B. die Texte des Programmheftes. Die Rolle des Dramaturgen fehlt im Wissenschaftsbetrieb. Gerade für eine transformative Wissenschaft wäre sie von zentraler Bedeutung. Die Verknüpfung von transdisziplinären Forschungsdesigns mit ihrer konkreten organisatorischen Umsetzung und der Vermittlung in den öffentlichen Raum wären idealtypische Aufgaben eines Wissenschafts-Dramaturgen. Jedes "Reallabor" sollte über einen Dramaturgen verfügen.
- Die Regisseurin/der Regisseur: Der Regisseur setzt die künstlerische Inszenierung mit den Künstlerinnen und Künstlern um und wird in der Regel von einer Regieassistenz unterstützt. Bei (transformativen) Forschungsprojekten übernehmen die Projektleiter diese Regiefunktion.
- Die Korrepetitorin/der Korrepetitor: Der Korrepititor begleitet Künsterinnen und Künstler auf dem Klavier beim Einstudieren von Rollen und Szenen und gibt dabei auch immer wieder korrigierende musikalische Hinweise. Korrepititoren verfügen über eine umfassende musikalische Ausbildung und entwickeln sich häufig zu Dirigenten eines Orchesters weiter. Gerade komplexe transdisziplinäre Prozesse würden von wissenschaftlichen Korrepetitoren profitieren, die aus einer profunden Kenntnis transdisziplinärer Designs den Forschungsprozess begleiten.
Worin liegt die Bedeutung einer solchen übertragenen Rollenbetrachtung?
Der Blick auf die unterschiedlichen Rollen des (Musik)theaters sensibilisiert für die Anforderungen, die eine Wissenschaft erfüllen muss, die auf Resonanz- und Gesellschaftsorientierung zielt. "Produktive Interaktionen" als Anspruch wirkungs-orientierter Wissenschaft stellen sich nicht von alleine durch die Produktion wissenschaftlicher Erkenntnisse durch Wissenschaftlerinnen nach anerkannten wissenschaftlichen Methoden ein.
Die differenzierte Rollenstruktur der Oper ist ein Hinweis darauf, dass ein transformativer Wissenschaftsbetrieb ein breiteres Rollenspektrum gerade im Zwischenbereich von wissenschaftlicher und vermeintlich "nicht wissenschaftlicher" Wissensproduktion benötigt. Es bedarf Rollen und Personen, die wissenschaftliche, organisatorische und Transfer-orientierte Aufgaben in ihren Rollen miteinander verknüpfen.
Die Figuren und Rollenbeschreibungen des Librettisten, des Dramaturgen, des Regisseurs und des Korrepetitors geben interessante Hinweise für die Ausgestaltung solcher Rollen auch im Wissenschaftsbetrieb.
Hintergrund zu den Blogeinträgen "Reflect OPERAS"